Ein Geschenk statt Steinwurf
„Für uns, es ist großes Geschenk“, sagt der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft im Hagenweg in Marschacht, als er an der Haustür das kleine Präsent in die Hand nimmt.
In seiner Hand ist ein Miniaturhäuschen mit einem glühenden E-Licht, darauf weihnachtliche Dekoration und ein Advents-Gruß auf Deutsch und sieben weiteren Sprachen.
„Es ist nur ein kleines Geschenk“, winkt Pastor Georg Stahlmann (32) ab. „Wir haben von der Aufregung und dem Ärger im Hagenweg vor drei Monaten gehört. Ich kann es leider nicht wegzaubern… wir können Ihnen aber zumindest ein kleines Geschenk machen, ein Geschenk der Freundlichkeit. Und Ihnen einen friedlichen Advent wünschen.“
Der Bewohner bleibt dennoch bei seiner Meinung: Für ihn ist es ein großes Geschenk.
Keine drei Minuten dauert das kurze Gespräch, dann klingelt Stahlmann mit Samtgemeinde-Bürgermeisterin Kathrin Bockey und Kirchenvorsteher Gerhard Koepsel an der nächsten Tür.
Am 4. und 5. Dezember gehen sie zu dritt durch den Hagenweg, besuchen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft und alle deutschen Nachbarn.
Im September war hier ein Auto eines Nachbarn durch einen Steinwurf beschädigt und sich über den Gartenzaun beschimpft worden. Mutmaßlich waren zwei Bewohner der Flüchtlingsunterkunft dafür verantwortlich. Als die Anwohner nach ihren Beschwerden keine entsprechende Reaktion wahrnahmen, berichtete die Tageszeitung, der Fall schlug größere Wellen.
„Ich hatte das Gefühl, dass eine Art Vakuum um den Hagenweg drohte: Leute melden ein Problem, aber es scheint kein Gehör zu finden, keine Ebene kann klar eine Zuständigkeit übernehmen. Das macht die Menschen sauer, und ich kann sie verstehen“, sagt Stahlmann.
Kirchenvorsteher Koepsel lud deshalb die Akteure des Dorfes und die Bewohner des Hagenwegs zu einem Runden Tisch ein: „Es ist immer besser, miteinander als übereinander zu sprechen. Wir wollten einen geschützten Gesprächsraum abseits der medialen Aufregung und Vorurteile schaffen. Wir wollen den Menschen zeigen: Wir sehen euch und nehmen euch ernst.“
Am Ende kamen aber nur offizielle Vertreter vom Gemeinderat, Kirche und Betreuer der Flüchtlingsunterkunft. Alle konnten von Gesprächen mit interessierten Bewohnern erzählen, aber die Bewohner selbst kamen nicht.
Stahlmann brachte das auf die Idee: „Wenn die Leute nicht kommen, kommen wir zu ihnen.“
Gerade im Advent bräuchten die Leute etwas Licht, etwas Schönes. Und ein kleines Geschenk sei ein guter Anlass, um mal zu klingeln, ohne gleich die ganz großen Probleme lösen zu müssen. Zudem verbinde Licht und geschmückte Wohnungen im Advent die Menschen in Deutschland – unabhängig von ihrer Religion und Herkunft.
Zu dritt brachen sie auf – und bekamen spontan Unterstützung von einem Bewohner der Flüchtlingsunterkunft. Er ist ein geflohener Jeside aus dem Irak, der seit 5 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet. „Das ist eine gute Sache“, beschloss der Mann und beschenkt mit Stahlmann, Bockey und Koepsel die deutsche Nachbarschaft des Hagenwegs.
„Eine gelungene Aktion!“, ziehen die Akteure von ev. Kirche und Samtgemeinde am Ende Bilanz.
Ein ähnlicher Besuch fand kurz darauf ebenfalls bei der Flüchtlingsunterkunft in Bütlingen statt.